Dass die nördlich von Bruchsal gelegene Schlossanlage Kislau von 1933 bis 1939 als frühes Konzentrationslager diente, ist heute nur noch wenigen Menschen bekannt. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Geschichte des Orts in der NS-Zeit zu erforschen und unsere Erkenntnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Kislau als frühes KZ
Im ehemaligen Bischofsschloss Kislau errichteten die neuen nationalsozialistischen Machthaber im April 1933 eines der ersten Konzentrationslager im Deutschen Reich. Mit frühen Lagern wie diesem wollten die Nazis ihre neu gewonnene Macht sichern, ihre politischen Gegner:innen ausschalten und sie erniedrigen. Bei den ‚Schutzhäftlingen‘, die ohne rechtliche Grundlage dorthin verschleppt wurden, handelte es sich zunächst ausschließlich um erklärte politische Gegner der Nationalsozialisten: Kommunisten, Sozialdemokraten und Freigewerkschafter.
‚Schaufahrt‘ und Marum-Mord
Reichsweite Aufmerksamkeit erregte eine demütigende ‚Schaufahrt‘, in deren Rahmen am 16. Mai 1933 sieben prominente Sozialdemokraten auf einem offenen Wagen ins KZ Kislau verbracht wurden – unter ihnen der ehemalige badische Staatspräsident und Innenminister Adam Remmele sowie der langjährige Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Ludwig Marum. Ein knappes Jahr später wurde Marum in Kislau von SA- und SS-Männern ermordet.
Haftbedingungen
Wie in anderen frühen Lagern wurden die Häftlinge auch im KZ Kislau gedemütigt, ausgebeutet und politisch neutralisiert. Zeitweise waren mehr als 170 Männer gleichzeitig in zwei Schlafsälen zusammengepfercht. Fälle schwerer Misshandlungen sind dokumentiert, waren aber offenbar nicht die Regel. Die Gefangenen mussten zehn Stunden pro Tag größtenteils schwere körperliche Arbeit im Erdbau, in der Landwirtschaft oder in Werkstätten verrichten. ‚Schutzhäftlinge‘, die am Jahreswechsel 1933/34 bei der Renovierung des Bischofsbads im Haupttrakt des Schlosses eingesetzt waren, konnten dabei unbemerkt eine Inschrift anbringen, die noch heute existiert.
Vom Konzentrations- zum Bewahrungslager
Während die meisten frühen Lager im Reich schon nach wenigen Monaten wieder aufgelöst wurden, bestand das KZ Kislau sechs Jahre lang. Seit 1934 war es das einzige Lager in Baden, seit 1935 das einzige im gesamten deutschen Südwesten. Neben Kommunisten und Sozialdemokraten fanden sich auch Kirchenleute, sogenannte ‚Rassenschänder‘ und Zeugen Jehovas unter den Häftlingen. 1936 wurde das KZ in ‚Bewahrungslager‘ umbenannt, erfüllte aber noch immer die gleichen Zwecke wie zuvor. Den Großteil der Häftlinge machten seither sogenannte ‚Asoziale‘ und ‚Berufsverbrecher‘ aus.
Kislau als ‚Vorhof zur Hölle‘
Bis das Lager Kislau 1939 als eines der letzten frühen Lager im Reich wieder aufgelöst wurde, bangten dort mehr als 1.500 Häftlinge um ihre Freiheit und um ihr Leben. Für viele von ihnen war Kislau nur die erste Station eines langen Leidenswegs, denn sie wurden von dort in andere Lager ‚verschubt‘. Aber auch alle, die aus dem KZ entlassen worden waren, konnten sich ihres Lebens nicht sicher sein.
Kislau als Arbeits- und Durchgangslager
Wie schon vor 1933 beherbergte die Kislauer Schlossanlage auch während der NS-Zeit weiterhin eine Landesarbeitsanstalt. In sie wurden Menschen eingewiesen, die man als ‚asozial‘ abgestempelt hatte. Seit 1934 wurde der Schlosskomplex darüber hinaus als Durchgangslager für nach Deutschland zurückkehrende Fremdenlegionäre genutzt. Bevor sie nach Hause weiterreisen durften, mussten sie sich hier einer Art ‚Umerziehung‘ unterwerfen.
Das 1939 errichtete Strafgefängnis Kislau
Nach der Auflösung des Konzentrationslagers im Jahr 1939 war in Kislau ein Strafgefängnis untergebracht, in dem zahlreiche politische Häftlinge festgehalten wurden – unter ihnen der bekannte Profi-Fußballer Oskar Rohr und der spätere Ulmer Oberbürgermeister Robert Scholl, den man nach der Hinrichtung seiner Kinder Hans und Sophie in ‚Sippenhaft‘ genommen hatte.
Kislau in der Erinnerung nach 1945
Die Verwaltungs- und Häftlingsakten zu Kislau in der NS-Zeit sind zum größten Teil im Generallandesarchiv Karlsruhe überliefert und seit einigen Jahren über ein Online-Findbuch zugänglich. Dennoch ist das Lager in der historischen Forschung bislang wenig präsent gewesen. Vor Ort findet sich eine Gedenkstele für Ludwig Marum, die anlässlich seines 50. Todestags 1984 von privater Seite aufgestellt wurde. Darüber hinaus gibt es keinen sichtbaren Hinweis auf die Funktionen, die der Schlossanlage in der NS-Zeit zukamen.
„Schon aus den leidvollen Erfahrungen meiner Familie heraus widme ich mich seit vielen Jahren der Erinnerungskultur. Ich unterstütze das Vorhaben, auf dem Areal des ehemaligen KZs Kislau einen Lernort zu errichten. In einer Zeit, in der das Wissen um die Unterschiede zwischen Demokratie und Diktatur zunehmend schwindet und ein wachsender Teil der nachkommenden Generation über das Geschehen der Nazi-Zeit nicht oder nur unzureichend informiert ist, halte ich Aufklärung und Wissensvermittlung für wichtiger denn je.“
- Erika Raupp, Enkelin des Kislauer ‚Schutzhäftlings‘ Erwin Sammet